Translational Neurosciences
Natriumkanalbedingte Schmerzstörungen: Von molekularen Mechanismen zur personalisierten Behandlung
Spannungsabhängige Natriumkanäle (Navs) sind für die Schmerzwahrnehmung von entscheidender Bedeutung. Dies wird durch verschiedene genetische Syndrome veranschaulicht, die zu chronischen Schmerzen oder angeborener Schmerzlosigkeit führen. Die Art der Mutation, ihr Einfluss auf die Erregbarkeit von Neuronen sowie der betroffene Nav-Kanal-Subtyp zeichnen ein komplexes Bild der entsprechenden Erkrankungen. Ein detailliertes Verständnis dieser Schmerzerkrankungen ist jedoch aufgrund fehlender direkter Strukturinformationen über humane Nav-Kanäle bislang nicht möglich gewesen.
Die jüngsten bahnbrechenden Fortschritte in der Kryo-Elektronenmikroskopie haben die Sichtweise auf das Konzept der Schaltvorgänge im Natriumkanal wesentlich verändert und das Konsortium nun in eine hervorragende Position gebracht, um das bestehende Wissen über schmerzassoziierte Kanalopathien grundlegend zu überarbeiten und zu erweitern. Wir werden uns mit den neuen Konzepten einer allosterischen Inaktivierung sowie Dimerisierung der Natriumkanäle befassen und die Auswirkung von Mutationen in den Kanälen auf die neuronale Erregbarkeit untersuchen. Wir werden die Grundprinzipien der Ionenkanalfunktion translational auf Patienten mit neuropathischen Schmerzen anwenden. Die Ziele des Verbundprojekts werden durch eine multidisziplinäre Kombination von atomistischen Molekulardynamiksimulationen, Hochdurchsatzgenetik, maschinellem Lernen, rechnergestütztem Wirkstoffdesign und elektrophysiologischer Untersuchung von patientenassoziierten Natriumkanalmutationen adressiert. Der Bogen wird methodisch translational weiter über induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) abgeleitete sensorische Neuronenmodelle, Single-Channel-Gating-Analysen, biochemische Untersuchungen von Natriumkanalproteinen bis hin zu multimodalen bildgebenden Studien bei Patienten gespannt. Unser langfristiges Ziel ist es, diese umfassenden Daten so zu integrieren, dass klinisch relevante Auswirkungen von Natriumkanalvarianten und deren Reaktion auf Analgetika vorhergesagt werden können.
Die Ergebnisse dieser Teamarbeit sollen Vorhersagemodelle erlauben, die schmerzassoziierte genetische Natriumkanalvarianten mit Veränderungen der Molekularbiophysik, elektrophysiologischen Funktion, pharmakologischen Reaktion und dem klinischen Phänotyp in Verbindung bringen.
Schwerpunkt Translational Neurosciences - Projekte
Hier finden Sie Projektbeschreibungen des Translational Neurosciences-Forschungsschwerpunktes.
P01 Durch Natriumkanalmutation induzierte Erregbarkeitsänderungen in menschlichen Nozizeptoren
PI: Univ.-Prof. Dr. med. Angelika Lampert, Institut für Physiologie (Neurophysiologie), RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Mutationen in Natriumkanälen (Navs), die zu Schmerzsyndromen führen, verändern die zelluläre Erregbarkeit von peripheren Neuronen, was zu einem stark veränderten Input in das ZNS führt. Die Effekte der Mutationen können in heterologen Expressionssystemen untersucht werden, oder mit induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen), die wir in sensorische Neuronen umwandeln. Von gut charakterisierten Patienten (Z-Projekt, P6), die krankheitsbedingte Mutationen tragen (identifiziert in P2 und P3), werden wir iPS-Zellen erzeugen und daraus sensorische Neuronen menschlicher Patienten ableiten, die es uns ermöglichen, die spontane Aktivität und Temperaturempfindlichkeit der Zellen von Patienten zu bewerten. Dazu verwenden wir einen Multi-Elektroden-Array.
Neuropathische Schmerzen sind wahrscheinlich auf die aberrante Aktivität sogenannter schlafender Nozizeptoren zurückzuführen, die auch als mechanisch unempfindliche C-Fasern (CMi-Fasern) bezeichnet werden. Bei Patienten mit vererbbaren neuropathischen Schmerzen wird angenommen, dass diese Fasern hyperaktiv und der Grund für die Schmerzen des Patienten sind. Obwohl wir gezeigt haben, dass von iPS-Zellen abgeleitete Nozizeptoren von Patienten hyperaktiv sind, ist die genaue Identität dieser Neuronen unklar. Hier wollen wir ihre spezifischen Eigenschaften wie Leitungsgeschwindigkeit, Reaktion auf Sinuswellen Stimuli und chemische Stimuli wie gelöste Cowhage-Samen untersuchen. Zu diesem Zweck werden wir unser etabliertes Co-Kultursystem von Nozizeptoren aus iPS-Zellen abgeleiteten Schwann-Zellen von Schmerzpatienten mit Natriumkanalmutationen und Kontrollpersonen verwenden, um physiologische Bedingungen nachzuahmen. Wir werden Patch Clamp Messungen durchführen und ein Mikrofluidiksystem auf Mehrelektroden-Arrays aufbauen (in Zusammenarbeit mit Andreas Offenhäusser, Jülich).
Wir wollen die Funktionen von CM- und CMi-Fasern, die durch menschliche Mikroneurographie (P6 und Kooperation mit Barbara Namer) identifiziert wurden, mit dem Natriumkanal-Schaltvorgängen in von iPS-Zellen abgeleiteten sensorischen Neuronen korrelieren. Wir werden uns auf Funktionen wie die langsame Inaktivierung des Natriumkanals oder die Reaktion auf sich wiederholende Stimulation mit einer Sinuswelle oder Rechteckimpulsen konzentrieren.
Die Reaktion von vom Patienten stammenden Neuronen wird dazu beitragen, patientenspezifische Pathomechanismen zu identifizieren, die mit den detaillierten Untersuchungen kleiner Fasern dieses Patienten korrelieren können, wie sie in P6 durchgeführt wurden. Wir untersuchen die Wirkung ausgewählter Arzneimittel auf die Natriumkanäle, die spezifisch Erregbarkeitsänderungen lindern können, die durch die in den iPS-Zellen vorhandene Mutation (P4, P5) induziert werden. Mit diesem Ansatz haben wir die Möglichkeit, Pathomechanismen zu identifizieren, die patientenspezifische Behandlung zu testen und die Grundlagen neuropathischer Schmerzen besser zu verstehen.
In Zusammenarbeit mit P2 werden wir die CrispR/cas9-Modifikation einfügen, um die zugrunde liegenden molekularen Mechanismen und die Rolle der Natriumkanal-Subtypen herauszufinden. Patch-Protokolle werden gemäß den Ergebnissen der Mikroneurographie des spezifischen Patienten (P6) modifiziert und die besondere aktuelle Reaktion der Natriumkanal-Subtypen wird unter Verwendung von Patch-Clamp bewertet.
Dieses Teilprojekt wird dazu beitragen, den Funktionsmechanismus zu verstehen, mit dem Natriumkanalmutationen zu Erregbarkeitsänderungen führen, welche Auswirkungen sie auf die Leitungsgeschwindigkeit haben, und wie wir diese pharmakologisch-personalisiert entgegenwirken können. Teile des Projekts werden von Dr. Jannis Körner als Start-up-Förderung (vergleichbar mit der DFG Modul Anschubförderung) durchgeführt.
P02 Genetik Schmerz-assoziierter Natriumkanal-Erkrankungen: von genetischen Varianten zu klinischen Schmerzphänotypen
PI: Univ.-Prof. Dr. med. Ingo Kurth, Institut für Humangenetik, RWTH Aachen
Co PI: Dr. rer. nat. Natja Haag, Institut für Humangenetik, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Genetisch bedingte Schmerzerkrankungen können durch Mutationen in drei für die Schmerzwahrnehmung bedeutenden spannungsgesteuerten Natriumkanälen ausgelöst werden: NaV1.7 (SCN9A), NaV1.8 (SCN10A), und NaV1.9 (SCN11A). Patienten mit Mutationen in diesen Natriumkanälen zeigen ein breites klinisches Spektrum zwischen angeborener Schmerzlosigkeit auf der einen Seite bis hin zu schwersten Schmerzepisoden oder schmerzhaften small fiber-Neuropathien. Obwohl Mutationen in diesen Kanälen als ursächlich für den Großteil erblicher schmerzbedingter Erkrankungen angesehen werden, werden nur selten eindeutig pathogene Mutationen in diesen Ionenkanal-Genen identifiziert. Deutlich häufiger finden sich Varianten von unklarer klinischer Relevanz. Umfangreiche Analysen unserer Exom-Sequenzierungsdaten von mehr als 300 Patienten mit einer Schmerzerkrankung zeigen, dass betroffene Personen im Vergleich zu Kontrollkohorten eine Häufung genetischer Varianten in NaV-Kanälen aufweisen. Im Rahmen des Projekts sollen weitere Exomsequenzierungen die bereits bestehenden Datensätze ergänzen, um neben weiteren Varianten in NaV-Kanälen auch neue Gene zu identifizieren, die zu einer monogenetischen Schmerzerkrankung führen. Die Auswirkung ausgewählter neuer genetischer Varianten auf die Funktion von NaV-Kanälen soll mittels Computersimulationen (P3, P4), biochemischen Analysen (P5) und elektrophysiologischen Messungen in Expressionssystemen (P1, P5) charakterisiert werden. Ziel dieses Teilprojektes ist die Identifizierung neuer Varianten, die die NaV-Kanalfunktion beeinflussen, aber formal nicht die Kriterien einer kausalen Mutation für eine monogenetische Erkrankung erfüllen. Die elektrophysiologischen Charakteristika und zellulären Effekte ausgewählter Varianten werden in vitro an sensorischen Neuronenkulturen evaluiert, die aus Patientenzellen über induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) gewonnen werden und durch CRISPR/Cas-basierte Zellkulturmodelle vervollständigt (P1). Des Weiteren sollen zum besseren Verständnis ursächlicher Pathomechanismen Transkriptom- und Epigenomanalysen durchgeführt werden. Die Korrelation dieser umfangreichen Daten mit klinischen Parametern (Teilprojekt Z) und in-vivo Messungen (Teilprojekte P6, P8) werden maßgeblich zum Verständnis genetisch bedingter chronischer neuropathischer Schmerzen beitragen.
P03 Die Fehlfunktion von Natriumkanälen bei Schmerzerkrankungen in atomarer Auflösung
PI:Jun.-Prof. Dr. J.-P. Machtens, Institute of Clinical Pharmacology RWTH Aachen University and Computational Neurophysiology Group, Institute of Complex Systems – Zelluläre Biophysik (ICS-4), Forschungszentrum Jülich
Zusammenfassung:
Spannungsgesteuerte Natriumkanäle (Navs) sind für den aufsteigenden Teil des Aktionspotentials verantwortlich und spielen eine entscheidende Rolle bei der schnellen Signalweiterleitung aus der Peripherie zum zentralen Nervensystem. Zahlreiche Schmerzerkrankungen – erhöhte, wie auch erniedrigte Sensibilität gegenüber schmerzhaften Reizen – wurden mit Mutationen in den Genen der Natriumkanäle Nav1.7–1.9 in Verbindung gebracht.
Die kürzlich publizierten hochaufgelösten Strukturen von Säugetier-Navs, wie beispielsweise dem humanen Nav1.7 Kanal, ermöglichen uns nun, die Fehlfunktionen von Navs mit Biomolekulardynamik-Simulationen und High-Performance Computing zu untersuchen.
Wir verwenden aktuelle Molekulardynamik-Simulationsverfahren um die Mechanismen der Natriumkanal-Dimerisierung und der schnellen Inaktivierung zu untersuchen, welche bei schmerzassoziierten Fehlfunktionen des Kanals verändert sein können. Des Weiteren sollen unsere Simulationen eine Grundlage für die rationale Wirkstoffentwicklung liefern. Wir untersuchen genetische Nav-Varianten, die mit Schmerzerkrankungen assoziiert sind, mit Hilfe von molekularen Simulationen und Machine Learning-Verfahren, um die zu Grunde liegenden biophysikalischen und funktionellen Mechanismen aufzuklären. Wir wollen so unser Verständnis für die Fehlfunktion von Natriumkanälen bei Schmerzerkrankungen erweitern. Darüber hinaus soll hiermit eine Grundlage für eine variantenspezifische, rationale Wirkstoffentwicklung für genetisch identifizierte Patienten gelegt werden, um langfristig personalisierte Therapien von Schmerzerkrankungen zu ermöglichen.
P04 Korrektur von Kanalstörungen mit variantenselektiven Medikamenten
PL: Prof. Dr. rer. nat. Giulia Rossetti
Zusammenfassung
Zahlreiche Studien haben spannungsgesteuerte Natriumkanäle (Nav) Isoform-Kanäle für Nav1.7 (SCN9A), Nav1.8 (SCN10A) und Nav1.9 (SCN11A) als Hauptursache für erhöhte Schmerzen oder Schmerzverlust-Phänotypen beim Menschen gemeldet.
Erhebliche Anstrengungen zur Entwicklung von Verbindungen, die für Nav1.7, Nav1.8, Nav1.9 selektiv sind, werden derzeit von der Pharmaindustrie aktiv verfolgt. Trotz der jüngsten Fortschritte gibt es aufgrund der hohen Strukturerhaltung innerhalb der Kanalfamilien nur wenige subtypselektive Inhibitoren für NaV1.7 und NaV1.8 (noch in der klinischen Prüfung): Alle Nav-Isoformen teilen die gleiche Gesamtarchitektur und Hochsequenzhomologie.
Dank des jüngsten Durchbruchs der ersten Säugetier-Nav-Strukturen, die mittels Kryoelektronenmikroskopie bestimmt werden, können Sequenzvariationsdaten (Kurth P2, Rolke P6, Dohrn/Häusler Z-Projekt) genutzt werden, um Nav-Strukturen und -Dynamik zu analysieren und funktionale Erkenntnisse über ihre variationsbedingten Gating-Mechanismen (Machtens P3) zu gewinnen. Diese werden für rationale Strategien des Wirkstoffdesigns genutzt und bieten somit die Möglichkeit, bestehende Therapien individuell zu optimieren.
Wir werden hochmoderne computergestützte Wirkstoffforschung (CADD) in Kombination mit maschinellen Lernalgorithmen einsetzen, um die vielversprechendsten medikamentösen Bindungsstellen (statisch und transient) aus molekulardynamischen Computersimulationen (Machtens P3) zu identifizieren. Eine weitere Analyse der Koevolution und der Netzwerkprofile der Bindungsstellen wird durchgeführt, um mögliche allosterische Pfade und Schlüsselrückstände, die die Anschnittmechanismen beeinflussen, vorherzusagen. Ziel ist es, ein Modell zu entwickeln, das die medikamentöse Region des Kanals mit den genetisch variantenabhängigen Mechanismen zur Regulierung der Anspritzung verbindet. Anhand des Modells soll vorhergesagt werden, wie sich die genetischen Varianten auf die Drugbarkeit des Kanals auswirken und welche Stelle wiederum von potenziellen Wirkstoffkandidaten am effektivsten genutzt werden kann, um den Anschnittmechanismus in jeder Variante zu regulieren. Bekannte NaV1.7-Medikamente werden zunächst als interne Sonden zur Kreuzvalidierung des Modells eingesetzt. Anschließend wird das Modell für das virtuelle in silico-Screening genutzt, um eine vorläufige kleine Bibliothek (von 10 bis 20 Molekülen) potenzieller Varianten zu identifizieren - selektive chemische Gerüste, die in elektrophysiologischen Experimenten getestet werden sollen (P1, P5) Der Wirkungsmechanismus der erfolgreichen Kandidaten wird durch Computersimulationen bewertet, um die vorläufige Bibliothek der Liganden auf einen größeren Datensatz von Leitmolekülen zu erweitern.
P05 Biochemische und funktionelle Charakterisierung heterolog exprimierter Schmerz-assoziierter NaV-Mutanten
PI: Prof. Dr. med. Günther Schmalzing, Institut für Pharmakologie und Toxikologie, RWTH Aachen
CO-PI: Priv.-Doz. Dr. med. Ralf Hausmann, Institut für Klinische Pharmakologie, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Chronische Schmerzen sind eine therapeutische Herausforderung. Genetisch kodierte Schmerzsyndrome bieten die Möglichkeit, die Mechanismen chronischer Schmerzen auf genetischer, zellulärer und molekularer Ebene zu verstehen. Frühere Studien konnten mehrere Schmerzstörungen auf Mutationen in spannungsgesteuerten Natriumkanälen zurückführen (Dohrn et al., 2019). Humane spannungsgesteuerte Na+-Kanäle (hNaVs) sind Membranproteine, die für die steigende Phase der Aktionspotenziale von erregbaren Zellen verantwortlich sind.
In einem Projektteil (Projektleiter Prof. Dr. med. Günther Schmalzing) setzen wir biochemische Techniken ein, um Expression, Stabilität, Oligomerisierung und die Integration in die Plasmamembran rekombinanter hNaV1.7 und hNaV1.8 allein oder zusammen mit assoziierten Proteinen einschließlich humaner β-Untereinheiten zu untersuchen. Diese Techniken ermöglichen es, die Auswirkungen von Punktmutationen zu untersuchen, die in Proteinregionen mit bekannten oder unbekannten Funktionen lokalisiert sind. Zusammen mit P1 und P3 des gemeinsamen Forschungskonsortiums wollen wir die oligomere Struktur von hNaV1.7 und hNaV1.8 durch eine Kombination aus Struktur-geleiteter, gezielter Mutagenese, rekombinanter Expression, NaV-Solubilisierung und nativer Polyacrylamid-Gelelektrophorese (PAGE) analysieren (Rühlmann et al., 2019).
In einem weiteren Projektteil (Projektleiter Priv.-Doz. Dr. med. Ralf Hausmann) verwenden wir einen elektrophysiologischen Ansatz, der es uns ermöglicht, zu untersuchen, ob eine bestimmte Schmerz-assoziierte NaV-Variante das Schaltverhalten des NaV-Kanals beeinflusst. Es sollen neue Erkenntnisse über die Biophysik von NaV-Kanälen und die Mechanismen, wie NaV-Kanal Mutationen Schmerzen verursachen (Kaluza et al., 2018), gewonnen werden. Darüber hinaus ermöglichen Einkanalableitungen den direkten Vergleich von Einzelkanaldaten mit atomistischen molekulardynamischen Simulationsdaten (P3 des gemeinsamen Forschungskonsortiums).
Unser dual biochemisch-funktionaler Ansatz soll aufklären, ob eine bestimmte Schmerz-assoziierte NaV-Variante die Proteinstabilität, Dimerisierung oder Einzelkanalcharakteristik einschließlich gekoppeltem Schaltverhalten und Aktivierung oder Inaktivierung beeinflusst.
P06 Eingehende erweiterte Phänotypisierung und Neuromodulation mittels Matrixstimulation
PI: Univ.-Prof. Dr. med. Roman Rolke, Klinik für Palliativmedizin, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Hintergrund: Natriumkanäle sind an der Erregbarkeit von Nervenfasern beteiligt und beeinflussen daher die Wahrnehmung evozierter Schmerzen sowohl bei der Modulation peripherer Nervenendigungen als auch bei der Signalverarbeitung im Rückenmark. Dieses Projekt zielt darauf ab, die sensorischen und axonalen Profile bei Patienten mit Schmerz- und Natriumkanalmutationen durch psychophysische Tests, Einzelnervenfaserableitungen und durch eine Intervention über elektrische Neuromodulation zu bewerten, um die Funktion spezifischer Natriumkanalmutationen mit dem schmerzverarbeitenden Phänotyp zu verknüpfen. Patienten mit Nav1.7- und anderen Natriumkanalmutationen mit vorhergesagter funktioneller Relevanz werden (1) einer ausgeklügelten eingehenden Phänotypisierung des somatosensorischen Profils unterzogen, einschließlich neu entwickelter elektrischer Schwellen- und Schwellenwerttests, die spezifisch für axonale Veränderungen sind, (2) Geruchstests mit Geruchsschwellenbestimmungen und (3) eine Intervention unter Verwendung einer Matrixelektrode zur Neuromodulation, um den Einfluss von Natriumkanalmutationen auf die spinale Schmerzverarbeitung zu bewerten, und (4) bei ausgewählten Patienten Aufzeichnungen einzelner Aktionspotentiale in einzelnen Nervenfasern.
Bewertungsziele: Alle für dieses Subprojekt ausgewählten Patienten haben bereits im zentralen Projekt (Z-Projekt; Dohrn/Häusler) eine Standardphänotypisierung durchlaufen inklusive einer quantitativen sensorischen Testung (QST) nach dem DFNS-Protokoll. Für eine Untergruppe ausgewählter Patienten, basierend auf Gentests auf Natriumkanalmutationen, wird die elektrische Stimulation mit speziellen Stimulationsparadigmen zur Bewertung der axonalen Erregbarkeit von C-Fasern verwendet, die durch die Natriumkanalfunktion bestimmt wird. Die Geruchswahrnehmung wird mit Sniffing Sticks und Verdünnungsreihen von N-Butanol getestet, um mittels einer Reizantwortfunktionen die Geruchsschwelle zu messen. Die A-Delta-Faserfunktion wird objektiv anhand schmerzbedingter evozierter Potentiale untersucht. Bei ausgewählten Patienten wird die axonale Erregbarkeit einzelner C-Nozizeptoren untersucht, um in Zusammenarbeit mit der IZKF-Forschungsgruppenleiterin Prof. Dr. Barbara Namer mithilfe der Microneurographie mutationsspezifische Muster der axonalen Erregbarkeit nachzuweisen.
Intervention: Alle Patienten erhalten eine Intervention durch Anwendung einer kürzlich entwickelten Matrixelektrode mit einem Design, das vorzugsweise Haut-Nozizeptoren mittels niederfrequentem Reizstrom (LFS; low-frequency stimulation) aktiviert. Dieser Ansatz testet den Einfluss von Natriumkanalmutationen auf Sensibilisierungsprozesse im Rückenmark unter Verwendung verschiedener elektrischer Reizparadigmen, die bestimmte Nervenfaser-Untergruppen aktivieren. Die Intervention wird als eine zweimal täglich 5-minütige 4-Hz-LFS-Behandlung basierend auf einem "n=1"-Studiendesign durchgeführt.
P07 Zelluläre und systemische Effekte von Natrium Kanälen im olfaktorischen System
PI:Dr. Markus Rothermel, Institute für Biologie II – Abteilung Chemosensorik – AG Neuromodulation, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Der Funktionsverlust des spannungsgesteuerten Natriumkanals Nav1.7 führt beim Menschen zu einer angeborenen Unfähigkeit, Schmerzen zu empfinden. Darüber hinaus ist Nav1.7 für die Geruchswahrnehmung bei Mäusen als auch beim Menschen von entscheidender Bedeutung: Das Fehlen von Nav1.7 in olfaktorischen sensorischen Neuronen führt zu einem Ausfall der synaptischen Signalübertragung an der ersten Synapse entlang des olfaktorischen Signalwegs, der sensorischen Synapse zwischen olfaktorischen sensorischen Neuronen und Mitralzellen im olfaktorischen Bulbus. Daher ist der olfaktorische Bulbus ein ideales Modellsystem zur Untersuchung der Nav 1.7-Funktionen. In Anbetracht der auffälligen Analogie zur synaptischen Schmerzverarbeitung im Rückenmark wollen wir in diesem Projekt die unkonventionelle olfaktorische Rolle von Nav 1.7 für eine systematische mechanistische Analyse der Zellfunktion dieses Kanals nutzen. Zusätzlich zu Funktionsverlustmutationen wurde eine Vielzahl von Funktionsgewinnmutationen für SCN9A identifiziert, die typischerweise eine vererbte Erythromelalgie verursachen, das erste menschliche Schmerzsyndrom, das auf einen spannungsabhängigen Natriumkanal zurückgeführt wurde. Wir wollen daher untersuchen, ob und falls wie, solche Funktionsgewinnmutationen auch die Geruchswahrnehmung verändern. Zwar gibt es widersprüchliche psychophysische Untersuchungen humaner olfaktorischer Nav1.7-Mutationen, doch liegen unseres Wissens keine Berichte vor, die den möglichen Einfluss einer Funktionszuwachs-Mutation auf die Geruchswahrnehmung in Nagetiermodellen untersuchen. Wir beabsichtigen, neue transgene Mausmodelle zu generieren, die eine spezifische Expression der Nav1.7 Funktionsgewinnmutationen in olfaktorischen sensorischen Neuronen ermöglichen. Patch-Clamp Messungen, hochauflösende Bildgebung in akuten Schnitten des olfaktorischen Bulbus sowie die Multiphotonen-in-vivo-Bildgebung wird zur physiologischen Charakterisierung der synaptischen Signalübertragung an der sensorischen Synapse von olfaktorischen sensorischen Neuronen zu Mitralzellen, beitragen. Darüber hinaus werden Verhaltenstests potentielle Defizite in geruchsabhängigen Verhaltensweisen wie z.B. angeborener Geruchserkennung und –vermeidung oder dem kurzfristigem Geruchslernen, entschlüsseln. Zudem wollen wir die zentralen Wechselwirkungen von Schmerzwahrnehmung und Geruch untersuchen und damit die von Prof. Dr. Ute Habel generierten menschlichen Bilddaten durch in-vivo-Aufzeichnungen auf zellulärer Ebene ergänzen. Diese Studie soll von den einzigartigen molekularen und zellulären Ähnlichkeiten zwischen Geruch und Schmerz profitieren und somit unser Verständnis der Nav1.7 Funktion beim Prozessieren von sensorischen Signalen verbessern.
P08 Zentrale Prozessierung sensibler Informationen bei Patienten mit Natriumkanalmutationen
PI: Univ-Prof. Dr. med. Ute Habel, Department of Psychiatry, Psychotherapy and Psychosomatics, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Die Schmerzforschung beschäftigt sich seit Kurzem mit der Rolle der drei spannungsgesteuerten Natriumkanäle Nav1.7, Nav1.8 und Nav1.9, die hauptsächlich in peripheren nozizeptiven Neuronen vorherrschen, jedoch unterschiedliche biophysikalische Eigenschaften aufweisen. Wie das Gehirn die peripheren nozizeptiven Signale übersetzt, ist zur Zeit nicht hinreichend erforscht. In diesem Teilprojekt wird ein systematischer Ansatz für die Bildgebung des Gehirns vorgeschlagen, der Aufschluss darüber gibt, welche Gehirnstrukturen und -funktionen bei der Schmerzverarbeitung bei angeborenen Schmerzstörungen im Zusammenhang mit Nav1.7-, Nav1.8- und Nav1.9-Mutationen maßgeblich beteiligt sind.
Um dieses Ziel zu erreichen, werden Schmerzpatienten ausgewählt, die im Konsortium mit seltenen Natriumkanalmutationen (Z-Projekt) auf der Grundlage molekulargenetischer Studien (P2) und klinischer Untersuchungen (P6) identifiziert wurden. Wir werden ein standardisiertes Protokoll für die Bildgebung des Gehirns anwenden, das von einem multizentrischen Neuroimaging-Netzwerk (PING) erstellt wurde. Dieser systematische Ansatz der Hirnbildgebung verbessert die Reproduzierbarkeit der Datenanalyse und ermöglicht den Vergleich mit Hirnbildern aus anderen Studien, beispielsweise einer kürzlich durchgeführten Studie mit gesunden Probanden, in der funktionelle Netzwerke nachgewiesen wurden, die Schmerzen und Geruchserfahrungen widerspiegeln. Im vorliegenden Teilprojekt wollen wir diesen Befund in Patientenstichproben übersetzen und die klinische Relevanz der Netzwerke untersuchen. Schmerzstörungen mit Nav1.7-Mutation sind von Interesse, da gezeigt wurde, dass Nav1.7 auch der Hauptnatriumkanal in olfaktorischen sensorischen Neuronen und ihren Prozessen ist. Die nichtinvasiven simultanen EEG-fMRT-Aufzeichnungen werden sowohl eine hohe zeitliche (Elektroenzephalographie, EEG) als auch räumliche Auflösung (fMRT) der menschlichen Gehirnfunktion in Bezug auf Schmerz- und Geruchsstimuli liefern. Wir sind bestrebt, unsere Ergebnisse mit den klinischen Befunden (P6, Z-Projekt) und den Ergebnissen auf genetischer und molekularer Ebene (P1 - P5, P7) zu korrelieren.
Z Schmerzwahrnehmung verstehen: vom Natriumkanal zum klinischen Phänotyp
PI:Dr. med. Maike Dohrn, Klinik für Neurologie, RWTH Aachen
Co. PI: Univ.-Prof. Dr. med. Martin Häusler, Klinik für Pädiatrie, Sektion Neuropädiatrie, RWTH Aachen
Zusammenfassung:
Dieses zentrale “Z”-Projekt öffnet die Tore zwischen klinischer und Grundlagenforschung im Hinblick auf spannungsabhängige Natriumkanäle und ihre Rolle bei der Verursachung stärkster oder fehlender neuropathischer Schmerzen sowie bei der Entstehung von Geruchsüber- und -unempfindlichkeit. In den Kliniken für Neurologie und Kinderneurologie möchten wir Trägerinnen und Träger solcher Natriumkanalmutationen identifizieren und charakterisieren. Hierfür sind folgende drei Schritte vorgesehen:
Schritt 1: Zuerst sollen etwa 50 Kinder und 200 Erwachsene mit peripheren Schmerzstörungen untersucht werden, bei denen eine genetische Veränderung in einem für spannungsabhängige Natriumkanäle kodierenden Gen die Ursache dieser Schmerzempfindungsstörung sein könnte. Wir werden sowohl Patienten mit ursächlich ungeklärten oder familiär gehäuft auftretenden neuropathischen Schmerzsyndromen untersuchen als auch Menschen, die ungewöhnlich wenig Schmerz wahrnehmen können.
Schritt 2: Geeignete Studienteilnehmerinnen und –teilnehmer sollen detailliert untersucht werden. Hierzu gehören Befragungen zur Vor- und Familiengeschichte, klinisch neurologische Untersuchungen, eine quantitative sensorische Testung (QST), Fragebögen zu Schmerz und Lebensqualität, Riechtests und molekulargenetische Untersuchungen (P2). Wir schätzen, dass etwa 10-30% der untersuchten Patienten tatsächlich eine Natriumkanalmutation tragen. Es sollen dann Biomaterialien wie Blutproben für kooperierende Subprojekte gewonnen werden. Auch sollen abhängig von unseren Voruntersuchungen geeignete Kandidaten für physiologische Studien wie Mikroneurographie (P6) und funktionelle Magnetresonanztomographie (P8) ausgewählt werden. Die gefundenen genetischen Veränderungen sollen funktionell auf molekularer und zellulärer Ebene (P1, P5) und in dynamischen in silico 3D Modellen (P3, P4) untersucht werden.
Schritt 3: Klinische, genetische und funktionelle Daten sollen in ein prospektives, longitudinales Register integriert werden, auf dessen Basis wir die phänotypische Spannweite Natriumkanal-assoziierter Erkrankungen bei Kindern und Erwachsenen abbilden möchten. Durch detaillierte Genotyp-Phänotyp-Korrelationen hoffen wir, geeignete Patienten für zukünftige Studien identifizieren und die personalisierte Entwicklung geeigneter Behandlungskonzepte entwickeln zu können (P4).
Kontakt
Univ.-Prof. Dr. med. Angelika Lampert
Institut für Physiologie